Ich hasse es. Ich hasse es über meine Krankheit reden zu müssen. Zum einen, weil ich es unfassbar anstrengend finde, die Neugier anderer Menschen zu befriedigen, die nicht in der Lage sind Google zu bedienen. Zum anderen und viel größeren Teil, weil ich mich weigere diese Krankheit Raum zu geben. Ich weigere mich, sie meinen Alltag bestimmen zu lassen, ein Teil von mir zu werden, mich zu definieren. Also beschäftige ich mich nicht mit den Details. Ich tue das allernötigste, mehr aber auch nicht. Eine ausgeprägte Form der Verdrängung, die ich mir, Gott sei Dank, leisten kann. Mukoviszidose kommt in den verschiedensten Formen und Stärkegraden vor und mit dem berühmten Glück im Unglück geht es mir sehr gut.
Und doch ist sie da. Mukoviszidose. Zystische Fibrose. Cystic Fibrosis. CF. Immer und allgegenwärtig. Jeden Morgen und jeden Abend muss ich inhalieren und Medikamente einnehmen. Vitamin D, Eisenpräparate, Pulmozyme, Bronchitol, Kreon, Symbicort, Salbutamol, Spiriva, immer mal wieder Antibiotika und regelmäßig Physiotherapie, ebenfalls morgens und abends. Ich hoffe, ich habe nichts vergessen. CF ist also durchaus eine Herausforderung im Alltag und umso komplizierter auf Reisen.
Nichtsdestotrotz stehe ich am 28. Februar am Flughafen mit einem 70 Liter Rucksack auf dem Rücken. Von den 70 Litern, werden ca. 35 nur von Medikamenten eingenommen, denn meine Reise geht nach Peru und dauert 2 Monate. Schon die allgemeine Krankenversorgung in Peru ist zum Teil besorgniserregend schlecht. Über das Stadtkrankenhaus in Trujillo, der drittgrößten Stadt Perus, höre ich beispielsweise, dass sämtliche Materialien und Medikamente zur Versorgung eines Patienten von den Angehörigen in einer der Krankenhausapotheken gekauft werden müssen. Das Krankenhaus selbst verfügt über keinerlei Bestände. Aus diesem Grund habe ich also vorgesorgt, denn die Option, meine Medikamente zum Teil vor Ort zu organisieren, ist somit indiskutabel.
Zunächst aber muss ich das ganze Zeug überhaupt erst einmal durch die Flughafenkontrolle, in den Flieger und durch den peruanischen Zoll bekommen. Ich bin, natürlich, entsprechend vorbereitet und habe Kopien meiner Rezepte, sämtliche Beipackzettel, zum Teil sogar auf Englisch und eine Erklärung meiner Ärztin in Englisch und Spanisch bei mir. Bereit meinen Ordner an Unterlagen einem Sicherheits- oder Zollbeamten triumphierend unter die Nase zu halten, gleite ich ganz geschmeidig durch Sicherheitskontrolle, in den Flieger und durch den peruanischen Zoll. Was passiert? Nichts passiert. Keine Befragung in schummrigen Hinterzimmern, warum ich weiße Pülverchen in kleinen Pillen mit mir führe. Keine Durchsuchungen, weder meines Gepäcks noch meiner Person. Schade, dabei hatte ich mich doch so auf ein wenig Körperkontakt gefreut. Nun gut. Vielleicht nächstes Mal. Ich bin bereit.
Die meiste Zeit schlage ich mich tatsächlich mit meinen geliebten Mitmenschen herum, die ganz unterschiedlich auf meinen Husten reagieren. Von Ärger über Besorgnis bis Belustigung ist alles dabei. Zum Beispiel die äußerst scharfsinnige, einem Sherlock Holmes würdige Diagnose: „Ihr Husten hört sich aber nicht gut an“. Man möchte direkt den Nobelpreis für Medizin vergeben. Oder der lustig-originelle, mit einem Augenzwinkern vorgetragene Spruch: „Rauchen Sie doch lieber noch eine“. Ein Spruch, der in mir das unbändige Verlangen erweckt, selbiges zwinkernde Auge mit chirurgischer Präzision zu entfernen. Und so verschieden, wie die Reaktionen fremder Menschen sind, so sind verschieden sind auch meine Reaktionen. Ich habe alles ausprobiert. Ignoranz, beißender Sarkasmus, Beleidigungen und laut werden. Einen Favoriten habe ich noch nicht. Einen Favoriten habe ich aber doch. Platz Nr. 1 der Kategorie „Unnötig af“ geht aber immer noch an die Flugbegleiterin, die sich ob der Möglichkeit von Ebola besorgt zeigte. Denn Ebola kommt ja aus Afrika.
Aber mal im Ernst, auf Reisen verdoppelt sich natürlich die Anzahl an Blicken, Kommentaren und Nachfragen. Besonders im direkten Zusammenleben mit fremden Menschen in Hostels oder anderen Unterkünften. Denn mal ganz abgesehen von medikamentösen Routinen und dem Husten, bei dem ich rot anlaufe, meine Halsadern hervortreten und es sich anhört, als würde sich mein Inneres nach außen kehren, gibt auch meine Verdauung immer wieder Anlass zu freudigen Zwischenfällen. Genauere Info hierzu, nach Wunsch mehr oder weniger detailliert, gibt es im Internet haufenweise (Pun intended. Aber sowas von). Zum Beispiel auf der Onlinepräsenz der Apothekenumschau http://www.apotheken-umschau.de/mukoviszidose#Symptome. Meine Oma hat diese Zeitung früher immer gelesen und abgesehen davon, dass der Begriff „fettiger Stuhl“ mich eindeutig als Heiratsmaterial kennzeichnet, bin ich ganz verliebt in den dramatischen Einstieg des Artikels. Ähnliches sagten sie damals meiner Mutter im Krankenhaus: „Neger haben sowas nicht.“ und irgendwas mit „maximal 8 Jahre alt“.
In Peru kann ich mit „fettigem Stuhl“ leider niemanden beeindrucken. Dank kulinarischer Anpassungsschwierigkeiten scheißt sich hier jeder Reisende ein ums andere Mal die Seele aus dem Leib und ich falle nicht weiter auf.
Den größten Kampf jedoch kämpfe ich nicht mit meinen Eingeweiden, idiotischen Mitmenschen oder dem peruanischen Zoll, sondern mit mir selbst und der regelmäßigen Einnahme meiner Medikamente. Je weniger ich eine tägliche Routine habe, desto weniger kann ich die medikamentöse Routine aus eigener Disziplin einhalten. In Peru war dieser Mangel an Disziplin zum Schluss fast hilfreich, da ich es trotz aller Vorbereitung geschafft habe, mich um 14 Tage zu verkalkulieren. So strecken sich meine Vorräte quasi von selbst. Nichtsdestotrotz muss ich einen Weg finden mich selber zu disziplinieren. Mich selber bescheißen kann ich im Gegenzug dazu ganz wunderbar. Es ist jetzt 4 Uhr nachmittags, ich habe noch nicht mal mit meiner morgendlichen Routine angefangen und höre Mutters Stimme in meinem Kopf: „Inhalierjetztbitteundvergissnichtdiesprayshastdudietablettenschonrausgelegt?“ – wer weiß wie man diese Stimme im Kopf loswird, meldet sich bitte. Tipps zu Selbsthilfegruppen sind auch sehr willkommen
Es ist hilfreich zu wissen, dass man mit all dem nicht allein ist. Sarah Mitchel zum Beispiel schreibt unter http://guttertoglobe.com/disabled-travel/ – einen wirklich großartigen und interessanten Artikel über die Herausforderungen, die das Reisen mit einer Neurogenen Blase mit sich bringt. Bei einer Neurogenen Blase funktionieren die Nerven nicht, die das Öffnen der Blase kontrollieren. Urinieren ohne Katheter ist unter diesen Umständen nicht möglich. Bei Sarah kommt dieser im Durchschnitt viermal zum Einsatz – auch im Flugzeug unter enormen Platzmangel oder in Afrika unter mangelhaften hygienischen Zuständen.
Habt ihr ähnliche Erfahrungen? Wie geht ihr damit um? Lasst mich wissen, was ihr denkt, teilt eure Erfahrungen, Probleme, Tipps, Blogs, Ideen und was nicht noch alles.