Die Stadt und ich hatten in 2008 einen eher schwierigen Start. In meinem ersten Winter hier in Köln verabschiedete sich meine Heizung zu einem Zeitpunkt, als die Temperaturen unter -10 °C fielen. Zwei Wochen nach dem Umzug musste ich daher meine neue, 25 qm kleine Wohnung mit meinen 4 Herdplatten beheizen. Mein Vermieter war derweil der Meinung, dass nicht seine Heizung, sondern mein falsches Lüftungsverhalten das Problem war. So saß ich, bei -6 Grad, vor meinem Herd, betrachtete meinen Atem, wie er vor den glühenden Kochplatten kleine weiße Wölkchen bildete und fragte mich, ob das alles wirklich eine so gute Idee war. 3 Monate später, als der Frühling anbrach und ich längst eine neue Wohnung gefunden hatte, konnte der Vermieter das Problem dann doch nicht mehr ignorieren, ohne eine Armada von Anwälten sämtlicher Mieter auf sich zu ziehen und ließ die Heizung reparieren.
In diesem Moment, als die Lage sich dank funktionierender Heizung und baldigem Umzug entspannte, stürzte, keine 300m von meiner Wohnung, das Kölner Stadtarchiv ein. 2 Menschen starben, mehr als 100 wurden obdachlos und ich für 2 Nächte evakuiert. Mein Vermieter kommentierte dieses Ereignis lapidar mit: „Wurde ja auch Zeit, dass diese architektonische Schande endlich verschwindet.“
Da viele Wohnungen von Privatpersonen vermietet werden, sind Geschichten über Vermieter wie diese in Köln keine Seltenheit und genauso typisch für die Stadt, wie die Bauweise der Wohnhäuser aus den 70er Jahren mit den engen und teilweise sehr steilen Treppenhäusern ohne Fahrstuhl. Ab dem 3. Stockwerk kosten sie mich auch nach 8 Jahren immer noch einen signifikanten Teil meiner Würde. Umzüge mit großen Couchgarnituren sollten übrigens wohlüberlegt und Trinkgelder für Umzugsunternehmen üppig sein. Aber das nur am Rande.
Oberflächlich betrachtet machte Köln also nicht unbedingt einen guten ersten Eindruck. Zurzeit ist es allerdings auch unter Oberfläche schwierig, da der berühmte Dom wackelt und vibriert, wenn die U-Bahnen unter ihm zu schnell fahren.
Der Kölner selbst nimmt all diese Dinge mit einer fast stoischen Gelassenheit hin. Nicht umsonst lautet der 1. Paragraph des inoffiziellen Kölner Grundgesetzes: „Et es wie et es.“ – Es ist wie es ist. Und selbst in den schwersten Momenten bleibt Zeit für Kölsch und Metthappen.
Drinks de ejne met? – Kölsche Kneipen und Partykultur
Kölsch ist die einzige Sprache, die man auch trinken kann. Zum einen, weil sich der Dialekt der Kölner ebenso nennt. Zum anderen, weil nichts in Köln so sehr verbindet, wie ein Kölsch zum Feierabend oder zum Auftakt in die Nacht. Es gibt in Köln ungefähr 87 verschiedene Sorten Kölsch und vermutlich mindestens ebenso viele Brauhäuser, in denen man sich nach Feierabend trifft, um Alltag und Stadtgeschehen zu diskutieren. Wer sich nicht durch alle 87 Sorten durchprobieren möchte, dem empfehle ich das leichte Früh oder das etwas herbere Reissdorf. Ganz nach Geschmack. Ich empfehle außerdem den ein oder anderen Mett-Happen dazu zu verspeisen, um zu verhindern, dass man allzu schnell allzu betrunken wird. Der Köbes, die typische, meist männliche Bedienung kölscher Brauhäuser, nimmt darauf nämlich keine Rücksicht und präsentiert sich als die Ur-Essenz der Kölschen Seele: raue Schale, weicher Kern. Kölsch wird, in der Regel ohne groß nachzufragen, nachgeschenkt und nur der Bierdeckel auf dem Glas verhindert das. Bei Nichtwissenden kann der Deckel also schnell so
aussehen, wobei ein Strich für ein Kölsch steht.
Ausgehen in Köln
Mein erstes Date mit Köln fing mit obigem Deckel an und endete in einer wilden Knutscherei in einer der vielen Schwulenbars in der Schaafenstr., einem unfreiwilligen Kniefall vor einem Taxifahrer, einem zerbrochenen Brillenglas und der Telefonnummer des Polizisten, der mir half wieder in meine Wohnung zu kommen, nachdem ich meinen Hausschlüssel verlor.
Die wirklich wildesten Nächte beendet man aber meiner Meinung nach immer noch am besten im „Sixpack“ in der Aachenerstr. Auch wenn der Türsteher durchaus sehr wählerisch sein kann, ist es meistens unglaublich voll. Die Menge bewegt sich im Takt der hervorragenden DJs und wenn man sich dem Rhythmus anpasst, kommt man irgendwie und irgendwann auch bis nach hinten zu Toiletten und Garderobe. Um 4 morgens schmeckt hier das Bier am besten, ist die Musik am lautesten und das Publikum am attraktivsten …
Das Schöne aber ist, dass in Köln jeder seine Nächte mit seinem ganz persönlichen Soundtrack unterlegen kann. Freunde der Elektromusik toben sich im Bootshaus, Subway oder Odonien aus. Liebhaber der gehobenen Cocktail-Kultur finden ihr Glück in der Pazifik Bar oder, etwas schicker, im Shepheard oder Ona Mor. Die Gin Auswahl dort ist ebenso hervorragend wie auch sämtliche Sinne benebelnd. Guten Hip-Hop wiederum, gibt es in wechselnden Locations bei der Party-Reihe Beatpackers.
Und so fängt man ganz langsam an, sich in Köln zu verlieben.
Kölle du bes ä Jeföhl…
…singen schon die Höhner im gleichnamigen Song. Und es ist tatsächlich so, Köln strahlt ein ganz bestimmtes Lebensgefühl aus. Die Stadt ist bunt und divers, sie hat Platz für jeden und akzeptiert auch jeden so wie er ist. Wenn man sich auf die Eigenheiten von Stadt und Bewohnern einlässt, sitzt man irgendwann mit einem Kölsch am Aachener Weiher, atmet tief ein und merkt plötzlich, dass man zu Hause ist. Der Aachener Weiher ist eine der vielen grünen Oasen in der Stadt, wobei jeder dieser Parks sein eigenes, durch die Bewohner des jeweiligen Stadtviertels geprägtes Publikum hat. Am Aachener Weiher ist es jung und hip. Zum Abend hin wird es immer voller, Grillschwaden ziehen über die Wiese und irgendein Grüppchen hat immer seine Boxen laut genug aufgedreht, um im Zweifel die gesamte Wiese zu beschallen. Meist ist es Elektronische Musik.
Ganz anders das Publikum in der Kölner Südstadt. Im Volksgarten findet sich hier ein Querschnitt durch die Bewohner des Stadtviertels. Von Kleinfamilien, Müttergruppen und Alt-Hippies über Slackliner und Bürohengste mit gelöster Krawatte bis Studenten und grillenden Großfamilien ist alles dabei.
Die Kölner lieben und zelebrieren ihr Leben in den Stadtvierteln, die sie liebevoll in Kölscher Tradition Veedel nennen und meine Heimat ist inzwischen die Südstadt geworden.
Do laachs de disch kapott – Karneval
Und während über das Jahr hinweg jedes Veedel seine Eigenheiten hat, kommen in der 5. Jahreszeit, zum Karneval, alle zusammen. Humor ist eine der wichtigsten Eigenschaften der Kölner. Das Jahr kann noch so chaotisch und anstrengend gewesen sein, ab dem 11.11. verarbeitet der Kölner die Ereignisse des fast vergangenen Jahres auf seine ganz eigene satirische Art und Weise. Keine Obrigkeit, ob national oder international ist gefeit vor der in meist beißenden Spott verpackten Kritik der Kölner am Weltgeschehen. Man nimmt alles und jeden auf die Schippe, gerne auch sich selbst und schunkelt dabei mit jeder Menge Kölsch die Sorgen des Alltags weg. An Weiberfastnacht feiert die gesamte Stadt auf den Straßen, es wird getrunken, gelacht, gesungen, getanzt und vor allem geflirtet. Nach Karneval gibt es überall in der Stadt Suchanzeigen nach Piraten, Prinzessinnen, Astronauten oder Krankenschwestern. Telefonnummern gehen in der allgemeinen Trunkenheit leider allzu schnell verloren. Und gerade das Flirten gehört dazu. Karneval ist wie eine erlaubte, ja fast verordnete Auszeit aus dem Alltag. 5 Tage lang dreht sich die Stadt in einem wilden Chaos aus Bier, wilden Knutschereien oder mehr, bunten Kostümen, Glitzer, Luftschlangen und Kölscher Musik, gipfelt in den Rosenmontagszug, um am Veilchendienstag dann mit dem Nubbel, dem traditionellen Sündenbock, alle Sünden zu verbrennen. Am Mittwoch startet man dann verkatert und erkältet ins neue Jahr. Alaaf, auf dass das kommende Jahr ein besseres werde und trotzdem noch genügend Material für die nächste Session biete. Karneval ist genauso ein Gefühl, wie die Stadt. Keiner feiert Karneval mit so viel Herz, wie die Kölner. Und mit soviel Kölsch.
Und dann ist man plötzlich verliebt in diese Stadt, unbemerkt und unausweichlich. Ob man will oder nicht. Höhner und Tommy Engel singen es in ihrem Lied
Du bes Kölle – Ob de wells oder och nit Du bes Kölle – Weil et söns kein Kölsche jit Du bes Kölle – Du bes super tolerant Nimps jeden op d´r Ärm un an de Hand.
Hier findet jeder das passende Stadtviertel, die passende Musik, das passende Leben.